Leseteufel Deutsch

Zweig Stefan

    Die Welt von gestern

Fischer, Frankfurt 2016

Precht

 Diese Autobiografie Zweigs erschien postum 1942, kurz nach seinem Selbstmord in Brasilien. Er war gerade 61 Jahre alt geworden. Er und seine zweite Frau brachten sich gleichzeitig um.

Normalerweise hält sich der Leseteufel fern von allem Bio- oder Autobiografischen, denn die meisten Autoren sind unerträglich eitel und selbstgefällig, ihre Biografen bemüht, sie als etwas Besonderes darzustellen, damit sich das ganze Projekt lohnt.

Zweig dagegen erscheint in allem, was er über sich und seine Zeit schreibt, völlig uneitel und wenig daran interessiert, sich als einzigartig zu beschreiben. Eher befasst er sich voller Bewunderung mit den berühmten Zeitgenossen, denen er begegnete, und er kannte erstaunlich viele, darunter Gide, Rilke, Freud, Proust, um nur einige zu nennen. Er fühlte sich in Europa zu Hause, lebte in Paris, Belgien, Italien, der Schweiz, ehe er nach England und dann weiterzog ins Exil.

Zweig wirkt wie ein Seismograph seiner Epoche, politisch hellsichtig, in seinem Stil impressionistisch gefühlsbetont und einer großen Neigung, seine Beschreibungen immer im Dreiklang zu gestalten: “Nichts hat das deutsche Volk - dies muß immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden - so erbittert, so haßwütig, so hitlerreif gemacht wie die Inflation.” (S. 359)

Ähnlich wie Hofmannsthal fließen ihm die Worte oft allzu leicht, wobei das sicher ein Geheimnis seines großen Erfolgs vor 1933 war. Und der Untertitel seiner Autobiografie ist Programm für sein ganzes großbürgerliches Leben. Dass sich seine Gedanken zunehmend verdüstern, ist angesichts von 2 Weltkriegen, Zerstörung, Inflation, Verfehmung, Flucht mehr als verständlich. Dass er sich seine Menschlichkeit durch alle Katastrophen bewahrt hat, bewundernswert.

Wie würde er als glühender Anhänger eines Vereinten Europas die heutige europäische Lage beurteilen?