Leseteufel Deutsch

Wodin Natascha

    Sie kam aus Mariupol

Rowohlt, Hamburg 2017

Precht

 Natascha Wodin (Jg. 1945) hat für die Arbeit an diesem autobiografischen Roman zahlreiche deutsche Förderstipendien erhalten. Trotzdem ist es in der Summe eine Abrechnung mit all dem Bösen und Schlimmen, das ihr und ihren Eltern von den Deutschen angetan wurde.

Dass zu dem German-Bashing ein ebenso intensives Russian-Communist-Bashing dazu kommt, ist nur ein schwacher Trost für den Leseteufel. Die Ursache für dieses Fremdverschulden an allem Leid mag der Selbstmord ihrer Mutter mit 36 Jahren sein, der die 10jährige Tochter verstört zurückgelassen hat.

Wodin schrieb diesen Roman mit 72 Jahren, er ist also eine Art Summe ihrer Lebenserfahrung. Viele Menschen wenden sich ja im Alter der Geschichte ihrer Familie zu und forschen nach unbekannten Stammbäumen. Wodin tut dies mit Hilfe eines ukrainischen Internetprofis, der auch noch die kleinsten Verzweigungen dieser Familie aufdeckt.

Natürlich stellt sich heraus, dass Wodins Familie in der Großelterngeneration reiche Mariupoler Bürger waren mit italienischem Hintergrund. Dann die Schrecken der stalinistischen Säuberungen, dann ab 1944, also allenfalls ein Jahr, die Existenz ihrer Eltern als Zwangsarbeiter in Deutschland. Selbst Wodin kann nicht mit Sicherheit sagen, ob sie sich nicht freiwillig dafür gemeldet hatten.

Nach dem Krieg Urkundenfälschung, damit die Familie nicht von den Amerikanern repatriiert wird, danach ein Leben in einem “Scherbenviertel”, ähnlich wie es Bronsky in ihrem Roman schildert.

Das große Ärgernis im Vergleich dazu, wie die Eltern sich und die Tochter von der deutschen Gesellschaft abschotten, sich weigern, Deutsch zu sprechen und so ihre Randexistenz perpetuieren.

Alles in höchst larmoyantem Ton geschildert. Auch die Selbstmordgeschichte hätte Wodin ähnlich wie Handkes “Wunschloses Unglück”  aus einer ganz anderen, viel intensiveren Perspektive darstellen können.

Während der Leseteufel anfangs dieser Detektivgeschichte vom Aufspüren der familiären Hintergründe interessiert folgt, wendet er sich ab der Mitte zornig ab. Diese Autobiographie mag für die Autorin therapeutischen Sinn haben, für den Leser ist sie ein Ärgernis.