Leseteufel Deutsch

Tellkamp Uwe

    Der Turm

Suhrkamp, Frankfurt 2008

Precht

Endlich ist er da: Der Roman der untergegangenen DDR! Ein Buch, schwer wie ein Ziegelstein mit fast 1000 Seiten, kaum eine davon leicht und schnell zu lesen. Also harte Kost, ein in jeder Hinsicht unbequemes Meisterwerk, durch und durch deutsch, weil sprach- und detailverliebt und oft geradezu kryptisch in seinen Formulierungen. Und, da ist sich der Leseteufel sicher, ein Schlüsselroman der Dresdner Gesellschaft in den letzten 8 Jahren vor der Wiedervereinigung.

Es gibt eigentlich keine wirkliche Hauptfigur, wenn man davon absieht, dass der zu Beginn des Romans 17jährige Christian sicher das alter ego Tellkamps ist. Dazu kommt sein Vater Ulrich, Handchirurg an der Dresdner Klinik, dessen Schwager Meno, Lektor eines in schwierigem Umfeld operierenden Verlags, Freunde, Mitbewohner in alten, maroden Villen am Elbhang oberhalb Dresdens.

Ihnen gegenüber stehen die Mitglieder “Ostroms”, d.h. der Parteizentrale. Tellkamp erzählt aus all diesen wechselnden Perpektiven, am ehesten ist Meno = Nemo der Chronist und Seismograph des allmählichen Zerfalls dieser kommunistischen Gesellschaftsform in seinen Tagebucheintragungen.

 Am wenigsten überzeugen können Christians Briefe an seine Eltern während seines dreijährigen Armeedienstes. Sie sind so steif wie das Papier, auf dem sie abgedruckt sind. Tellkamps Erzählweise wirkt, als habe er eine Kette von Ereignissen und eigenen Erlebnissen aufgereiht und dann versucht, sie inhaltlich miteinander zu verbinden: Geburtstage, Sitzungen der Verlagsredaktion, private Treffen, in denen die Geschichte Dresdens im Mittelpunkt steht, Witze und und und.

Während zu Beginn des Romans die bildungsbürgerliche Gegenwelt zum proletarischen kommunistischen System einen dekadenten Charme ausstrahlt, zerfällt alles mehr und mehr, wie auch die Villen, die Dingsymbole für den Verfall des Systems. Schikanen der mit krimineller Energie die Menschen ausbeutenden Machthabenden nehmen überhand, jegliche Privatsphäre geht in den überbelegten alten Villen verloren. Das Geschehen entwickelt sich wie in einem Alptraum.

Dieser Roman müsste zur Pflichtlektüre für alle Ostalgiker erklärt werden. Von Kritikern wurde Thomas Mann als Vorbild Tellkamps genannt, ich würde eher an Heimito von Doderer denken, den Christian als einen seiner Lieblingsautoren nennt. Wie in den “Dämonen” von Doderer gelingt es Tellkamp hier, Atmosphärisches “verdichtet” so darzustellen, dass der Leser darin eintaucht und alles um sich herum vergisst.