Englischsprachige Literatur

Tey Josephine

Nur der Mond war Zeuge

Kampa, Zürich 2021

Galbraith3

Josephine Tey (1896 - 1952 ) schrieb diesen Krimi im englischen Original 1948, was aus zwei Gründen erstaunlich ist. Erstens, natürlich, weil im zerstörten Deutschland niemand auf den Gedanken gekommen wäre, einen gesellschaftskritischen “whodunit” zu schreiben und zweitens, weil Tey derart hellsichtig die Gesellschaft aufs Korn nimmt, dass das Buch von bestürzender Aktualität ist, besonders was das Aufheizen öffentlicher Stimmung durch die Medien angeht. Und in der Übersetzung von Manfred Allie´ geht nichts von Teys elegantem, ironischen Stil verloren. Nur für den englischen Titel “The Franchise Affair” hätte sich der Übersetzer etwas Passenderes überlegen können.

Es geht um eine schier unglaubliche Geschichte: ein junges Mädchen beschuldigt zwei allein lebende Damen, Mutter und Tochter Sharpe, die außerhalb des Örtchens Milford in einem großen alten Haus leben, eben dort das Mädchen gekidnappt, geschlagen und zu Hausdiensten geknechtet zu haben, bis sie nach zwei Wochen nachts entkommen konnte.

Der aufrechte, etwas spießige Zivilanwalt Robert Blair wird zu Hilfe gerufen, als die Polizei bei den Sharpes auftaucht. Erst vertritt er sie eher widerwillig, weil Strafsachen nicht seins sind, lässt sich aber mehr und mehr in die Geschichte hineinziehen, auch, weil er sich in die Tochter Sophie Sharpe verliebt. Die Mutter, Mrs Sharpe”, ist eine Figur nach Teys Vorstellung. Scharfsichtig und -sinnig, entgeht ihr nichts und sie begegnet den staatlichen Autoritäten ohne überflüssigen Respekt.

“Mangel an Bildung”, sagte die alte Mrs Sharpe nachdenklich, “ist ein schweres Handicap, wenn man jemanden beschimpfen will. Sie hatten nicht die geringste Variationsbreite” (S. 171)

Der Leseteufel leidet mit den beiden Damen, bis sich das Ganze doch vor Gericht in einer spannenden Verhandlung zu ihren Gunsten wendet.