Leseteufel Deutsch

Reich-Ranicki Marcel

    Mein Leben

K.G. Saur Verlag, München 2002

Precht

Schon der Umfang dieses Werkes soll Ehrfurcht gebieten und will dem Leser auf 661, allerdings groß gedruckten Seiten vermitteln, mit welch bedeutender Persönlichkeit der Zeitgeschichte er es zu tun bekommt. Aber man muss schon ein echter Fan von Autobiographien sein, um sich hier durchzufressen und der Leseteufel gesteht freimütig, dass er nicht zu dieser Zielgruppe gehört.
Natürlich muss man einem Menschen, der ein solch bewegtes, beispielhaftes Leben gelebt hat wie Ranicki, Respekt zollen. Aber muss der Mann sein Leben der Öffentlichkeit auf diese Weise darstellen? In solch einfachem, teilweise armem Deutsch? In solch einfacher, altertümlicher Denkweise? “Si tacuisses...!” Und dabei trägt er seine Liebe zur Literatur vor sich her wie ein Priester seine Monstranz! Hat da gar nichts abgefärbt von den vielen hundert Büchern, die er gelesen hat, auf seinen eigenen Stil? Hat sich sein Horizont dadurch nicht erweitert? Eine Leseprobe aus seiner Berliner Schulzeit über einen Musiklehrer:”Ja, er hatte jüdische Schüler besonders gern, weil die meisten musikalisch waren und viele von ihnen Klavier oder Violine spielten. An Nazi-Lieder in seinem Unterricht kann ich mich nicht erinnern.”
In dieser selbstgefälligen Weise geht es Seite um Seite. Da Ranicki ja als Kritiker recht gut austeilen kann, muss er schon einstecken, dass sein eigenes Buch zumindest hier verrissen wird.